[ PORTRÄT ]
Opernsängerin / Kanada
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Begegnung mit Emily Klassen
"Sowohl beim Wein als auch bei der Oper ist es hilfreich, offen zu sein und anderen die Möglichkeit zu geben, das zu erleben, wofür man sich selbst begeistert, ohne zu urteilen oder elitär zu sein."
Die Sopranistin Emily Klassen hat sich auf die Musik aus dem 17. und 18. Jahrhundert spezialisiert, insbesondere auf die Musik aus dem italienischen Frühbarock. Sie tritt mit Opernensembles in ganz Nordamerika und Europa auf. Die Reisen im Rahmen ihrer Auftritte haben Emily in atypische Weinregionen geführt, und in ihrer Heimat ist sie mit dem Inhaber eines der ersten und angesagtesten Spirituosengeschäfte in Toronto verheiratet.
Klassische Rollen wie Donna Elvira aus Mozarts Don Giovanni oder Musetta aus Puccinis La bohème halten sie nicht davon ab, ein Lied von Cole Porter zu singen oder zu den Pixies mitzusummen. Emilys ausdrucksstarke Stimme und ihre dramatischen roten Locken hatten unter anderem in den Serien 12 Monkeys, Flashpoint und Murdoch Mysteries ihren Auftritt. Sie hat es auch als einzige Person geschafft, Hannibal Lecter während der gesamten Laufzeit der viel gelobten NBC-Serie zu Tränen zu rühren.
Emily teilt mit uns ihre Gedanken über Wein, Oper, Sinnlichkeit und Aufgeschlossenheit.
Was war Ihr erstes Erlebnis mit Wein?
EMILY KLASSEN
Ganz ehrlich, das Abendmahl. Das mag vielleicht gottlos erscheinen, aber ich erinnere mich, dass ich versucht habe, mehr als meinen Anteil wegzuschlürfen. Ich war so fasziniert vom Verbot des Alkohols - ganz zu schweigen vom Blut Christi. Das ist meine erste Erinnerung ans Weintrinken. Eine Mischung aus etwas Heiligem und etwas, das in die Erwachsenenwelt gehört. Es war verlockend, weil es eben verboten war.
Apropos „heilig“: Was war Ihr denkwürdigster Auftritt als Opernsängerin?
EMILY KLASSEN
Da fällt mir ein Auftritt in Norditalien beim Festival Rassegna Organistica Valsassinese in Pasturo mit dem Organisten Luciano Zecca ein. Die Kirche, die in einem Bergdorf in der Provinz Lecco liegt, hat eine erstklassige Akustik. Der Veranstalter sagte mir, dass ich mich auf ein volles Haus gefasst machen könne und nannte es den „Emily-Boom“, was ich nicht verstand, bis ich ein Meer von Handys und lächelnden Gesichtern sah, während ich das Ave Maria und Piangerò la sorte mia aus Händels Giulio Cesare in Egitto vortrug. Dem Ave Maria kommt eine ganz besondere Bedeutung zu, da ein Video der Aufführung von Luciano und mir während der Pandemie in Italien viral ging und für viele zu einer Art Gebet wurde. Dieses Lied hat den Menschen viel bedeutet und wurde seitdem sogar in einigen italienischen Filmen verwendet.
Welche Übereinstimmungen sehen Sie zwischen der Kunst des Weins und der Kunst der Oper?
EMILY KLASSEN
Ich mutmaße, dass beiden Bereichen die Leidenschaft zugrunde liegt. Ich denke, dass das Niveau der Kenntnisse, der Technik, das Forschen, das Engagement, das Ausprobieren und die Arbeitsethik ähnlich sind. Auch muss etwas in uns zum Klingen gebracht werden, das wie eine Art Zwang wirkt. Ich glaube, dass die Menschen in beiden Bereichen ziemlich obsessiv sein können und sehr starke Meinungen und Vorstellungen haben. Ich weiß, dass sich die Welt der klassischen Musik in mancher Hinsicht ein wenig elitär und unzugänglich präsentiert wie das auch bei Wein der Fall sein kann. Aber diejenigen von uns, die diese Vorurteile und Schranken wirklich überwinden möchten, versuchen, das Handwerk anders anzugehen. Ich denke, dass es sehr wichtig ist, die Erfahrung in den Mittelpunkt zu stellen und die Leute nicht zu überfrachten und ihnen vorzugeben, „wie es sein sollte“ oder „wie man die Sache erleben sollte“. Man sollte den Leuten die Möglichkeit bieten, ihren natürlichen Neigungen, ihren Vorlieben zu folgen. Hierin besteht in beiden Bereichen die Herausforderung. Sowohl beim Wein als auch bei der Oper ist es hilfreich, offen zu sein und anderen die Möglichkeit zu geben, das zu erleben, wofür man sich selbst begeistert, ohne zu urteilen oder elitär zu sein.
Um auf Italien zurückzukommen: Welche Weine haben Sie auf Ihrer letzten Tournee entdeckt?
EMILY KLASSEN
Weine aus Lugana! Dort sind wir mit meinem Mann gelandet. Mein Mann Dan besuchte mich auf meiner Tournee und hat mich zu einer meiner Aufführungen im Lugana-Weinbaugebiet begleitet. Dieser Weinstil hat mir wirklich ausnehmend gut gefallen. Mir gefiel seine knackige, frische und blumige Art mit Untertönen von Litschi und Obst. Ich liebe diesen blumigen Geschmack bei Wein sehr und ich liebe es, an einem heißen Sommertag zuzuschauen, wie sich auf einem kalten Glas Wein Kondensat bildet. Der Lugana ist ein schöner knackiger Weißwein, für den ich mich auf unserer Reise durch Norditalien wirklich begeistert habe.
Wenn Ihre Lieblingsarie ein Wein wäre, welcher Wein wäre es dann?
EMILY KLASSEN
Ich habe keine Lieblingsarie, sondern wechselnde Lieblingsarien. Ich verliebe mich in jedes neue Stück, das ich gerade lerne. Meine Weinkenntnisse reichen vielleicht nicht aus, um das mit Bestimmtheit sagen zu können, aber bestimmte Arten von Musik, zum Beispiel französischer Barock, haben einen sprudelnden und sauberen, glatten, makellosen, leichten und scheinbar einfachen Charakter, sind aber in Wirklichkeit sehr komplex. Unter der Oberfläche passieren eine Menge Dinge, die man nicht unbedingt wahrnimmt. Ich kann mir also vorstellen, dass bestimmte Arten von Weißweinen in einer Art Dialog mit diesen Musikstilen stehen - Weine, die sauber, sprudelnd und rein sind.
Das hört sich nach Champagner oder vielleicht einem Chablis an
EMILY KLASSEN
Ja, das stimmt, wohingegen ich mir für Musik von Puccini oder Verdi – große italienische Opern – eher einen saftigen Rotwein vorstellen könnte, einen Wein, der ein richtig vollmundiges Mundgefühl hervorbringt, ein Gefühl, das man im Blut spüren kann, das lebendig ist und dicht und schwer.
Ich bin fasziniert von der Kunst, Klang, Wein und Geschmack zusammenzubringen
Klingt nach einem kräftigen und mächtigen Amarone!
EMILY KLASSEN
Das kommt hin. Ich bin fasziniert von der Kunst, Klang, Wein und Geschmack zusammenzubringen. Wir sind Körper und nehmen unsere Umwelt mit den Sinnen wahr, die uns zur Verfügung stehen. Es ist also ganz natürlich, dass alles, was wir hören, was wir schmecken, unsere Erfahrung beeinflusst. So erleben wir die Welt und teilen diese Erfahrungen miteinander. Wir alle konsumieren. Wir alle trinken diesen Wein. Wir alle hören diese Musik. Wir kommen zu diesem Ritual zusammen, sei es beim Nippen am Wein bei einem wunderbaren Essen oder am Küchentisch mit Freunden, sei es bei einem Auftritt in einem großen Saal oder in einem kleinen, intimen Rahmen mit einer Kammermusikgruppe. Und diese Erfahrungen und Erlebnisse werden durch den Austausch mit anderen verstärkt.
In vielen Opern wird Wein getrunken. Am bekanntesten ist vielleicht die Weinszene in Mozarts Don Giovanni, der die so genannte „Champagner-Arie“ singt. Können Sie uns Ihre Lieblingsmomente oder Lieblingsanekdoten aus der Opernwelt erzählen, die mit Wein zu tun haben?
EMILY KLASSEN
Es gibt viele Opern, in denen ein Trinklied vorkommt. Ich denke da zuerst an „Libiamo ne' lieti calici“ aus La Traviata, was so viel bedeutet wie „Lasst uns aus fröhlichen Bechern trinken“. Wenn ich in einem Raum voller beschwipster Opernsänger darum bitten würde, ein Trinklied zu singen, würden sie vermutlich alle dieses Lied anstimmen. Wir haben hier ein gutes Beispiel für einen „Brindisi“, also ein Trinklied oder einen Trinkspruch. Das Lied soll die Leute zum Trinken animieren. Jemand erhebt sein Glas und bringt einen Trinkspruch aus, dem sich dann alle anderen anschließen. So ein Brindisi kommt in verschiedenen Opern vor. Ein anderes Beispiel ist das Trinklied „Cantiamo, facciam brindisi“ aus Donizettis Oper „L’Elisir d’Amore"
Ihr Ehemann Dan Grant und sein Geschäftspartner Ben Somers haben vor kurzem einen der besten Bier- und Weinläden in Toronto eröffnet. Wurden dadurch Ihre Vorlieben in Bezug auf Wein verändert?
EMILY KLASSEN
Bossanova ist zunächst einmal eine musikalische Anspielung. Sowohl Dan als auch Ben sind große Fans der Pixies, und Bossanova ist eines ihrer Alben. Im Laden steht in goldenen Lettern „Every morning, every day, I'll Bossanova with you“ - ein Zitat aus dem Song „Hang Wire“. Ich bin auch ein großer Fan der Pixies. Seit der Ladeneröffnung haben sich meine Vorlieben völlig verändert. Ich glaube, meine Grundhaltung war ziemlich engstirnig. Ich schäme mich zu sagen, dass ich mich nicht allzu weit aus meiner Komfortzone herausgewagt habe. Ich dachte auch immer, dass ich bestimmte Weinstile einfach nicht mag, aber es lag wohl einfach daran, dass ich nur sehr wenige verschiedene Stile ausprobiert hatte.
Ich liebe es, die Geschichte zum Wein kennenzulernen – auch in dieser Hinsicht sind sich Wein und Musik sehr ähnlich
Von welchen Weinen reden wir hier?
EMILY KLASSEN
Riesling! Ich nahm an, dass ich Riesling nicht mochte, weil alle Riesling-Weine, die ich bis dato probiert hatte, ziemlich süß waren, und ich mag keine besonders süßen Weine. Ben erklärte mir, dass es tatsächlich viele verschiedene Riesling-Weine gibt, darunter auch viele, die nicht süß sind. Dan und ich besuchten einige Zeit später das Weingut Cave Spring Cellars in Niagara und hatten dort einen Riesling Flight, der meine Voreingenommenheit komplett ausgeräumt hat. Jetzt kommt diese Weinsorte häufiger in mein Glas. Die Entdeckung der Weine der Kanarischen Inseln hat eine weitere unerwartete Verbindung zur Musik ans Licht gebracht. Bei einer Weinverkostung im Laden war ich fasziniert von der Mineralität, der Höhe, in der die Trauben wachsen, und der Beziehung der Trauben zu den Wolken, zum Wasser und zur Erde. Sie erzählten von den Frauen, die die Weinreben anbinden. Ich finde diese Aspekte von Wein überaus interessant und ich liebe es, die Geschichten zu einem Wein kennenzulernen. Auch in dieser Hinsicht sind sich Wein und Musik sehr ähnlich. Ich denke, beide Gebiete sprechen Hedonisten an, die die Sinne erforschen und diese Erforschung genießen.
Artikel - Sara d'Amato
Sara d'Amato lebt in Toronto. Sie arbeitet als Weinberaterin, Ausbilderin, Sommelière, Weinkritikerin. Weiterhin ist sie die Hauptpartnerin von WineAlign.com, Kanadas führender Online-Weinpublikation. Sie hat in Weinkellern sowohl in Niagara als auch in Bordeaux, Frankreich, gearbeitet. Sara war früher Sommelière im Four Seasons Hotel in Toronto und im Platinum Club im Air Canada Centre. Sara schreibt freiberuflich für eine Reihe von Publikationen und reist viel, um über etablierte und aufstrebende Weinregionen zu berichten.
Fotos - Miguel Hortiguela
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