[ PORTRÄTS ]
Frankreich // Kulinarische Kunst
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Begegnung mit Marie Yuki Méon.
"Ich erlebte ein unmittelbares sinnliches und organisches Gefühl zum Wein."
Marie Yuki Méon entwirft zwischen Paris und Venedig essbare Landschaften und zeichnet neue Formen des Essbaren für jeden Trend. Sie lässt sich von der Schönheit des Lebendigen inspirieren und stellt für uns mit Weinen und Speisen eine Verbindung zu den starken Gefühlen ihrer Erinnerungen und Träume her.
Woher nehmen Sie Ihre Inspirationen, die zu dieser so einzigartigen und unverwechselbaren kulinarischen Kunst geführt haben?
MARIE YUKI MÉON
Meine Mutter arbeitete in der Haute Couture für die ehrwürdigen Tokioter Damen und während meiner Kindheit ging ich in dem Privatsalon ein und aus, in dem die Kundinnen wie in alten Zeiten viele Stunden verbrachten, um Modelle anzuprobieren, Gebäck zu essen und sich zu unterhalten. Ich wurde unglaublich von dieser Maßarbeit beeinflusst, von der Zeit, die man sich für ein kreatives Konzept nimmt, von der Beobachtung, für wen man etwas macht und für wen man seine Kreationen entwirft.
Ist der Wunsch, Handwerkerin zu sein größer als der Wunsch zur Künstlerin?
MARIE YUKI MÉON
Ja, und deshalb bin ich Innenarchitektin für die Modewelt geworden und habe rund zehn Jahre in dieser Branche gearbeitet. Ich habe ein Theater – die Welt des Luxus – entdeckt, die Teamarbeit und die Codes der großen Modehäuser, das prägt ungemein. Und dann hat sich unterschwellig der handwerkliche Drang bei mir entwickelt, selbst etwas zu machen.
Kochen war wie eine Art Selbstverständlichkeit. Das hatte ich in mir. Ich wusste, dass ich kein Restaurant wollte, ich wollte kochen, aber ich wusste noch nicht, in welcher Form.
Kochen ist eine Art Trost, um sich ein Morgen vorzustellen.
Und warum haben Sie sich dann schließlich dem Kochen zugewandt?
MARIE YUKI MÉON
Weil meine Eltern nicht viel Zeit für mich hatten, habe ich in meiner Kindheit viele Stunden vor Kochsendungen verbracht. Reality-Kochshows gibt es in Japan seit 30 Jahren. Die liebte ich heiß und innig. Und dann habe ich meine Mutter sehr früh verloren und oft kochten mein Vater und ich zusammen als eine Art Therapie, um über den Verlust hinwegzukommen. Kochen ist eine Art Trost, um sich ein Morgen vorzustellen. Jemanden zu ernähren bedeutet, ihm Liebe zu schenken, und das hat dann in mir einen sehr starken Wunsch ausgelöst.
Und welcher Platz kommt dem Wein dabei zu?
MARIE YUKI MÉON
Wein habe ich für mich vor rund 20 Jahren im Le Verre Volé entdeckt – einem Pariser Bistro, das Pionierarbeit in puncto natürliche Weine geleistet hat. Natürlicher Wein war für mich eine echte Entdeckung. Mit einem Rotwein von der Loire, wahrscheinlich einem Gamay, erlebte ich ein unmittelbares sinnliches und organisches Gefühl zum Wein. Bei mir läuft alles über den Intellekt und daher war dieses Gefühl für mich etwas ganz Neues. Als ich diesen ersten Wein von der Loire trank, hatte ich das Gefühl, im besten Sinne des Wortes ein Terroir zu trinken. Ein Medium zwischen der Hand des Winzers und der Erde, das man ihn mir in einem Glas servierte. Ich empfand plötzlich eine ganz elementare Emotion. Dann öffnet man eine Tür und stellt fest, dass es dahinter noch viel mehr Raum gibt und viele Dinge, die sich geschmacklich und emotional abspielen können. Das war für meine Küche sehr anregend. Das ging so weit, dass wir, als ich anfing, bei mir zu Hause zu kochen, „geheime Abendessen“ mit drei Köchen veranstalteten und nur natürliche Weine anboten, was damals gewagt war und die Leute ziemlich verunsichert hat. Mein Experimentierfeld hat sich dadurch komplett vergrößert. Es kamen viele Weine von der Loire hinzu, aus dem Burgund mit überwiegend Pinot Noir, Gamay, Grolleau, Weine mit relativ wenig Tanninen, um vor allem die Fruchtnote im Mund zu betonen. Meine Kenntnis der Rebsorten hat sich zu diesem Zeitpunkt ausgebildet, als ich insbesondere den Chenin von der Domaine la Paonnerie (Champs Jumeaux 2015 ) entdeckte, der Anstoß dafür war, tiefer in den Facettenreichtum der Terrroirs vorzudringen.
Welchen Ansatz verfolgen Sie bei der Kombination von Weinen und Gerichten?
MARIE YUKI MÉON
Der Küchenchef Alain Passard sagt: „Wenn man Lebensmittel derselben Farbe und derselben Jahreszeit kombiniert, kann man nichts falsch machen.“ Dieser Ausspruch ist für mich zu einem Fundament geworden, er begleitet mich und es funktioniert! In der Beziehung zwischen Wein und Essen ist es ähnlich. Wenn zum Beispiel ein Wein in der Amphore gekeltert wird und ich etwas in Kruste koche, klappt das Zusammenspiel und weckt den Geschmack der Erde. Das Wissen um die Geschichte des Weins, wie er hergestellt wird, kann noch vor der Verkostung und darüber hinaus Hinweise auf die optimale Kombination geben.
Wie und wann kommt dann die kulinarische Kreation ins Spiel?
MARIE YUKI MÉON
Ich war sehr beeindruckt von dem, was eine Künstlerin wie Laila Gohar macht, die das Kochen künstlerisch wie nie zuvor inszeniert und sich vor allem keine Grenzen setzt, wenn es um die Schaffung kulinarischer Werke geht. Auf der Welt der französischen Gastronomie lasten Jahre des Erbes und der Tradition, unter denen die Küche mit ihren unantastbaren Formvorschriften, Regeln und Vorbehalten zu leiden hat. Als ich Laila kennenlernte und ihre Arbeit sah, dachte ich, dass es uns frei steht, diese Codes auch dort zu brechen.
Über das nachzudenken, was man isst, wenn man gerade dabei ist, es zu essen, lässt so eine Art angenehme Nostalgie entstehen.
Wie sieht Ihre ganz persönliche Suche aus?
MARIE YUKI MÉON
Ich verfolge eine Schwingung, suche nach dem, was ich als Kind Leckeres in Japan gegessen habe und das jeden und jede anspricht. Ich möchte den Menschen durch meine Kochkunst das Bewusstsein für den Augenblick vermitteln. Über das nachzudenken, was man isst, wenn man gerade dabei ist, es zu essen, lässt so eine Art angenehme Nostalgie entstehen. Alles hat eine symbolische Bedeutung und einen roten Faden in dem, was ich tue. Nichts wird dem Zufall überlassen. Ich erzähle mir Geschichten, die mich zum Kochen bringen. Ich denke an den Kontext, daran, wie das Essen serviert wird, der Geschmack ist genauso wichtig wie die Art und Weise, in der das Gericht gegessen wird. Ich wurde zum Beispiel stark von Opfergaben beeinflusst. Bei meinen Großeltern steht immer noch ein Altar, jeden Tag gibt es eine Schale Reis, fermentiertes Gemüse und eine Saisonfrucht, um eine Verbindung der Gegenwart mit den Lebenden und den Toten herzustellen. „Die „Früchte der Erde“ stellen die Verbindung zwischen dem lebendigen Diesseits und dem Jenseits her. Und mit Wein verhält es sich exakt genauso.
Die „Früchte der Erde“ stellen die Verbindung zwischen dem lebendigen Diesseits und dem Jenseits her. Und mit Wein verhält es sich exakt genauso.
Sind Sie deshalb nach Venedig gereist?
MARIE YUKI MÉON
Zusammen mit meinem Freund Harold, dem Fotografen, haben wir unser Verhältnis zur Zeit und zur alten, verblassten Schönheit dieser Stadt untersucht. Die Allgegenwart des Wassers hat eine sehr organische Beziehung zu den Dingen aufgebaut, genauso wie die Ufer der Loire, die ich so liebe. Es war sehr inspirierend. Und zwar so sehr, dass wir an einem einzigartigen Experiment mit dem Titel „Laguna nel bicchiere - le vigne ritrovate“ teilgenommen haben. Der rein venezianische Verein rehabilitiert alte, verlassene Weinberge in Venedig. Dahinter steckt die Idee, wieder Wein wie früher zu machen, auf die alte Art und Weise, ohne Zusatzstoffe, mit natürlicher Gärung und Handlese. Der Weinkeller des Vereins befindet sich auf der Insel San Michele, die auch die Friedhofsinsel von Venedig ist. Hier herrscht Ruhe für die Lebenden und für die Toten! Es entstehen außergewöhnliche Assemblage-Weine, sowohl die Rot- als auch die Weißweine, die man nicht im Handel kaufen kann. Man muss dem Verein beitreten und Zeit investieren und schenken, um maximal 2 Flaschen pro Person zu erhalten. Ich empfinde es als großes Glück, dass ich diese Initiative mit den Venezianern teilen durfte.
Ich erlebe unglaubliche Gefühle mit Weinen, vor allem mit Weinen von Winzerinnen, weil es alle diese Geschichten hinter diesen Weinen sind, die mich begeistern.
Welche Weinentdeckungen der letzten Zeit haben Sie am meisten berührt und bewegt?
MARIE YUKI MÉON
Ich erlebe unglaubliche Gefühle mit Weinen, und ich muss sagen, vor allem mit Weinen von Winzerinnen, weil es alle diese Geschichten hinter diesen Weinen sind, die mich begeistern.
Zum Beispiel mit der Cuvée „Gisèle“ - einem Sauvignon gris & Muscadelle von der Closerie des Moussis im Haut Médoc. Dieser Wein hat mich aufgrund seiner Energie, Vitalität und gleichzeitigen Sanftheit ganz besonders berührt. Dieser Wein, der von zwei Frauen im Weinbaugebiet von Bordeaux hergestellt wird, bewegt sich an der Grenze zwischen großen Klassikern und Weinen einer neuen, chemikalienfreien Welt.
Auch die Weine von Muriel Zoldan von der Domaine Antocyame in der Nähe von Montauban bringen mich aus dem Lot, weil sie eine außergewöhnliche Energie haben, obwohl es sich um eher körperreiche Rebsorten aus dem Süden handelt, wie der Tannat-Traube. Bei der Weinbereitung geht es fast schon musikalisch zu, Schwingungen breiten sich aus, die ihre Cuvées beseelen.
Die Weine sind der Spiegel der wunderbaren Menschen, mit denen ich mich umgeben möchte, so die Weine von Ariane Lesné im Département Loir-et-Cher oder die von Margot Rousseau-Petit und Natalia Santo im Anjou mit ihrer Cuvée aus Grolleau Noir von der Loire, „Ismaël“, das ist mein Lebensmantra ...
Und die großartigste Entdeckung in diesem Jahr ist diese japanische Winzerin, Yoko Ogawa, vom Mas du dragon des Pierres in Tautavel. Ein natürlicher lebendiger Rosé, „Pink is not Rosé“. In dieser Assemblage kommen Macabeu, Grenache Gris, Syrah und Grenache Noir zusammen. Sie ist von einer unglaublich leichten Finesse. Yoko hat beschlossen, Wein zu machen, um die Zeit, die ihr fehlt, wiederzufinden und sie mit ihren Freunden zu teilen. „Wein zu machen bedeutet, gemeinsam Erinnerungen zu schaffen“, sagt sie. Das gefällt mir.
Und schließlich habe ich mit Marie Carroget und in Gesprächen mit ihrem inzwischen pensionierten Vater, Jacques Carroget von der Domaine La Paonnerie, die ganze Noblesse der Loire-Weine verstanden. Der Wein, den wir dieses Jahr gemeinsam mittels Ganztraubengärung der Weißweinsorte „Melon de Bourgogne“ herstellen, erzählt eine Geschichte von enger Freundschaft, zwei Welten, die sich begegnen.
Ich arbeite auf dem Weingut mit, um mich zu „erden“, denn da meine Arbeit sehr kurzlebig ist, schaffe ich es so, die Dauerhaftigkeit der Dinge zu erleben.
Ich arbeite auf dem Weingut mit, um mich zu „erden“, denn da meine Arbeit sehr kurzlebig ist, schaffe ich es so, die Dauerhaftigkeit der Dinge zu erleben.
Marie Yuki Méon
@mangermanger_mcyuki
Artikel - Élodie Louchez
Elodie Louchez arbeitete als Chefredakteurin im Hörfunk für die Gruppe NRJ und anschließend für Gesellschafts- und Kulturmagazine für France 3, France 5 und Pink Tv mit Michel Field. Heute ist sie Journalistin und Autorin für Erlebnismagazine und gesellschaftlich relevante Dokumentarfilme und schreibt insbesondere zum Thema Ökofeminismus. Sie ist Mitglied der Gruppe „Syndicat de défense des vins naturels“, die sich für natürliche Weine einsetzt, und hat vor fünf Jahren mit ihrer Lebensgefährtin Marie Carroget in Nantes die Messe „Canons“ ins Leben gerufen, die erste Messe für Winzerinnen, die Naturwein herstellen.
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