[ PORTRÄT ]
CEO des Hauses Billecart-Salmon / Frankreich
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Begegnung mit Mathieu Roland-Billecart
„Diese zeitaufwendige, ländliche und ursprüngliche Arbeit ist der wahre Luxus von Wein."
Seit der Gründung des Champagnerhauses Billecart-Salmon im Jahr 1818 setzen sich alle nachfolgenden Generationen mit einer bemerkenswerten Charakterstärke für eine ganz bestimmte Vorstellung von Champagner ein. Pol hat den Bekanntheitsgrad des Hauses anlässlich der Weltausstellung im Jahr 1900 beträchtlich gesteigert. Charles hat das Champagnerhaus nach dem ersten Weltkrieg vor dem Bankrott bewahrt. Jean (der im stolzen Alter von 101 Jahren noch immer rüstig ist) hat die Herstellung von Rosé-Champagner wieder angekurbelt. François ist aus dem Supermarktgeschäft ausgestiegen, um den Fokus wieder auf die Gastrobranche zu richten. Mathieu Roland-Billecart steht in siebter Generation ganz im Einklang mit dieser Familientradition. Er erzählt uns, wie er das macht.
Wenn man sich die Geschichte des Hauses Billecart-Salmon anschaut, stellt sich die Frage, ob es in dieser Familie nicht eine Art Gen gibt, das Mut und Kühnheit verleiht…
Mathieu Roland-Billecart
Das ist eine wirklich interessante Bemerkung, über die ich noch nie richtig nachgedacht habe. Ursprünglich hatte man wohl gar keine andere Wahl, als um das Überleben zu kämpfen. 1818 sind François Billecart und Élisabeth Salmon 20 Jahre alt. Die Ehe zwischen einer Winzerfamilie, die seit dem 16. Jahrhundert in der Champagne ansässig ist, und einer Familie von Kaufleuten, lässt sich gut an. Die jungen Leute müssen sich beweisen und haben sowieso nichts zu verlieren. Diese Ausgangslage hat ihnen mutige Flügel verliehen und später auch ihren Kindern. Diese unterschwellige Ungewissheit hallt immer noch nach, auch wenn alles zum Besten steht. Wir sind zu klein, um sagen zu können, dass wir groß sind, und zu groß, um sagen zu können, dass wir klein sind.
Welche anderen Ereignisse haben diesen Mut geschürt?
Mathieu Roland-Billecart
Zwei Jahrhunderte lang wurden weder die Weinberge noch die Menschen verschont. Der Reblaus fielen Ende des 19. Jahrhunderts die Weinberge zum Opfer und die spanische Grippe löschte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche Menschenleben aus. Dazu kamen noch Regimewechsel, zwei Weltkriege, wirtschaftliche und geopolitische Krisen. Jede neue Generation musste Entscheidungen treffen, um das Überleben sicherzustellen. Das Ergebnis dieses Erbes ist zweifellos ein ausgeprägter Mut, doch stets steht die Qualität des Produkts im Vordergrund, die den entscheidenden Wettbewerbsvorteil gewährt. Um die Besten zu sein vom Weinbau über die Weinbereitung bis hin zur Reifung. Dieses Ziel verfolgen wir nach wie vor, denn gut zu sein im Jahr 1960 ist nicht das Gleiche, wie gut zu sein im Jahr 2024. Es ist nicht einfacher und auch nicht komplizierter, aber eben anders.
Welche Unterschiede lassen sich in Ihrer Arbeit ausmachen?
Mathieu Roland-Billecart
Ich kann Ihnen einige konkrete Beispiele nennen. Seit ich das Unternehmen vor 6 Jahren übernommen habe, sind fast alle unsere Weinberge Bio-zertifiziert. In der Champagne sprechen wir von 2 bis 3 % der Rebflächen. Wir gehen noch einen Schritt weiter, indem wir uns mit einem meiner guten Freunde, Jérôme Bretaudeau, zusammentun, der Winzer im Weinbaugebiet Muscadet ist, um unseren Weinbau auf die biologisch-dynamische Landwirtschaft umzustellen. Hier besteht das Ziel darin, die Demeter-Zertifizierung zu erhalten. Unsere Rebpflanzen sind bei dieser Anbauart viel widerstandsfähiger gegenüber Krankheiten, das können wir bereits feststellen. So zu handeln gebietet uns der gesunde Menschenverstand, das hat nichts mit Dogmatismus zu tun.
Wie kam es zu diesen Entscheidungen?
Mathieu Roland-Billecart
Der Hauptgrund ist wohl, dass ich die siebte Generation eines nach wie vor familiengeführten und unabhängigen Hauses bin. So etwas gibt es heute gar nicht mehr, so wie beispielsweise die Galapagos-Riesenschildkröte. Ich möchte den Schlüssel an die achte Generation weitergeben und mir dabei sagen können, dass ich mich bestmöglich für die beste Weinbaumethode eingesetzt habe.
Welche anderen Hebel nutzen Sie, um sich von Ihren Mitbewerbern zu unterscheiden?
Mathieu Roland-Billecart
Die Euphorie des Marktes hat die Reifezeit verkürzt. Heute kommen schon die Jahrgänge 2016 oder 2018 auf den Markt. Vor gar nicht allzu langer Zeit wurde noch die unantastbare Reifezeit von 10 Jahren propagiert. Wir schwimmen gegen den Strom und verkaufen derzeit unsere 2012er Jahrgänge und bei unserer erschwinglichsten Cuvée Réserve haben wir von 30 auf 50 Monate umgestellt. In der aktuellen Cuvée Réserve stecken vom Rebschnitt bis zur Assemblage der verschiedenen Ernten der Jahrgänge 2006 bis 2020 und der Reifung auf der Hefe 20 Jahre Arbeit. Diese zeitaufwendige, ländliche und ursprüngliche Arbeit ist der wahre Luxus von Wein, den man nicht unbedingt sieht.
Ich bin die siebte Generation eines nach wie vor familiengeführten und unabhängigen Hauses. So etwas gibt es heute gar nicht mehr, so wie beispielsweise die Galapagos-Riesenschildkröte.
Zwischen 2010 und 2018 haben Sie den Weinkeller umgebaut? Wie muss man sich diesen Umbau vorstellen?
Mathieu Roland-Billecart
Wir haben in mehr Holz investiert. Mittlerweile stehen hier 400 Stückfässer (205 Liter, Anm. der Redaktion) und 24 Fuder (80 Hektoliter, Anm. der Redaktion), in denen unsere Cuvées „Le Sous Bois“ ausgebaut werden, die vollständig in Fässern reifen, was bei der Champagnerherstellung eher selten ist. Unsere anderen Fässer sind auch alle aus Holz.
Eine jüngst erfolgte Innovation?
Mathieu Roland-Billecart
Für mich muss der Wein die Arbeit im Weinberg und im Weinkeller in reinster Form zum Ausdruck bringen. Traditionell wird bei der Champagnerherstellung die Hefe aus dem Flaschenhals entfernt - diesen Prozess nennt man Dégorgement - und der Wein wird mit einer Fülldosage versetzt, die Zucker enthält. Wir haben diese Vorgehensweise aufgegeben und fügen unserem Champagner statt Likör Stillwein hinzu, der aus 51 unserer Traubensäfte ausgewählt wird, die in unserer sogenannten „Nusery“ gelagert werden. So erhält jede Cuvée ihr ganz individuelles Finish. Das Ergebnis: Der Zuckergehalt wurde auf ein Drittel gesenkt.
Wein muss die Arbeit im Weinberg und im Weinkeller in reinster Form zum Ausdruck bringen.
Wie wird Champagner am besten gelagert, bevor man ihn trinkt?
Mathieu Roland-Billecart
Wie ein guter Wein. Waagerecht, im Dunkeln, auch wenn unsere Flaschen aus dunklem Glas sind, und in einer leicht feuchten Umgebung, damit die Korken nicht austrocknen. Starke Temperaturschwankungen und den Presslufthammer nebenan sollte man tunlichst vermeiden. Alle diese Bedingungen kann ein Eurocave-Weinklimaschrank perfekt erfüllen. Der Eurocave schafft eine Umgebung, die alle diese Kriterien erfüllt und er leistet gute Arbeit. Als ich noch in der Stadt wohnte, hatte ich solch einen Weinklimaschrank und in unseren Verkostungsräumen stehen auch welche. Sie sind auf 12°C eingestellt, die Temperatur, die seit eh und je in unseren Weinkellern herrscht.
Und wie sollte Champagner getrunken werden?
Mathieu Roland-Billecart
Ich bin dafür, die Entscheidungen unserer Kunden zu respektieren. Uns geht es vor allem darum, dass unsere Kunden glücklich und zufrieden sind, nachdem sie unsere Champagner getrunken haben. Ich für meinen Teil trinke Champagner in einem auf 20°°C geheizten Raum. Den Champagner serviere ich bei 12°C und wenn ich mein Glas ausgetrunken habe, ist er bei 14°C. Ich trinke meinen Champagner gerne aus einem eher ausladenden Weißweinglas mit einer leicht geschlossenen Mündung, damit die Aromen besser zur Geltung kommen.
Was isst man zum Champagner?
Mathieu Roland-Billecart
Auf allen unseren Flaschen ist ein QR-Code mit drei Foodpairing-Vorschlägen angebracht. Aber ich werde Ihnen meine liebsten Kombinationen für unsere vier Cuvées verraten. Réserve lässt sich optimal um 11 Uhr morgens und um 15 Uhr, zum Aperitif oder spät am Abend, trinken. Der Rosé-Champagner passt hervorragend zu einfachen Gerichten: Von Sushi bis Pizza, die meine Tochter jeden Freitagabend backt, geht alles. Zum „Le Sous Bois“ passt Comté-Käse perfekt. Und zum Blanc de Blanc sind Austern überaus stimmig.
Article - Gastro-Journalist - Stéphane Méjanès
Der ehemalige Sportjournalist Stéphane Méjanès berichtet seit 2012 für verschiedene Magazine, Zeitschriften und Websites über die Gastronomie in all ihren Facetten. Er ist Autor eines Pamphlets über Gastrokritik, „Tailler une plume“ (Éditions de l'Épure, 2019), sowie mehrerer Bücher von Küchenchefs. Er arbeitet außerdem als Dozent an der Hochschule für Hotellerie und Tourismus ESTHUA in Angers, wo er einen Kurs über Restaurantkritik für Master 2-Studenten anbietet. Zusammen mit Guillaume Gomez und Tiptoque ist er Initiator der Bewegung „Les Chefs avec les Soignants“ (etwa: Chefköche für das Pflegepersonal) und wurde dafür mit dem Solidaritätspreis La Liste 2021 ausgezeichnet. Für seine persönlichen Arbeiten wurde er 2019 mit dem Journalistenpreis „La plume d’or“ ausgezeichnet und 2018 erhielt er den Preis Amunategui-Curnonsky, der Journalisten verliehen wird, die sich in besonderer Weise um den Ruf der französischen Kochkunst verdient machen.
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